Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) seit dem 19. Jahrhundert

Rein hergestellte Pflanzeninhaltsstoffe, wie Digitalis oder Atropin, gehören heute zum normalen Arzneischatz in der Pflanzenheilkunde

Pflanzen gehören zu den ältesten Arzneimitteln. Seit dem 19. Jahrhundert wurden in Europa ihre Wirkstoffe isoliert und deren Wirkung erforscht.

Rein hergestellte Pflanzeninhaltsstoffe, wie Digitalis oder Atropin, gehören heute zum normalen Arzneischatz. Für viele Heilpflanzen ist bekannt, welcher Inhaltsstoff Träger der Hauptwirkung ist. Trotzdem gibt es noch viele Pflanzen, die unbestritten wirken, deren Inhaltsstoffe und Wirkung sich einander jedoch noch nicht zuordnen lassen. Manchmal wirkt auch die isolierte Substanz anders als ein Auszug aus der ganzen Pflanze. Offenbar kann die Wirkung der ganzen Pflanze mehr sein als die Summe ihrer Teile.

Pflanzliche Arzneimittel gibt es getrocknet als „Drogen“, aus denen man Tee zubereitet, oder als Fertigpräparate, die die Industrie hergestellt hat. Für solche „Phytopharmaka“ nutzt sie etwa 400 verschiedene Pflanzen.

 

Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) seit dem 19. Jahrhundert

 

Durchführung

Tees sind typische Hausmittel. Auch mit pflanzlichen Fertigprodukten, den Phytopharmaka, versuchen viele Menschen, Beschwerden zunächst einmal selbst zu kurieren. Außerdem verschreiben rund 80 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Deutschland ihren Patienten
regelmäßig Pflanzenmittel. Der Umsatz an Phytopharmaka lag 1994 in Deutschland bei 1,6 Milliarden DM.


Tees

Hierunter versteht man einen wässrigen Auszug aus getrockneten Pflanzenteilen (Blüten, Blättern, Kraut, Hölzern, Rinden, Wurzeln, Früchten, Samen). Seine Zubereitung richtet sich nach den verwendeten Pflanzenteilen.


Aufguss (Infus)

Bei den meisten Blatt-, Blüten- und Krautdrogen und bei stark zerkleinerten Rinden- und Wurzeldrogen wird die vorgeschriebene Menge an Pflanzenteilen in einem Gefäß mit kochendem Wasser übergossen. Gefäß abdecken und fünf bis zehn Minuten stehenlassen. Danach umrühren und abseihen.


Abkochung (Decoct)

Sehr harte Teedrogen, wie Hölzer, Wurzeln und Rinden, werden in der vorgeschriebenen Menge in kaltem Wasser angesetzt. Dann wird das Wasser zum Kochen gebracht und fünf bis zehn Minuten am Kochen gehalten (umrühren!). Nach kurzem Stehen seiht man die festen
Stoffe ab.


Kaltauszug (Mazerat)

Diese Zubereitungsform eignet sich vor allem für schleimhaltige Drogen, wie Eibischwurzel oder Leinsamen. Die vorgeschriebene Menge Pflanzenteile wird mit kaltem Wasser übergossen und bei normaler Raumtemperatur mehrere Stunden stehengelassen. Danach wird abgeseiht. Bei einem Kaltauszug werden Keime und Pilze nicht abgetötet. Dazu müßte man den ab geseihten Tee vor dem Trinken kurz aufkochen.


Fertigtees

Fertig abgepackte Teezubereitungen sind in Apotheken und im Lebensmittelhandel erhältlich, Dabei gibt es unterschiedliche Qualitäten.

 

Teefilterbeutel:

Ein Beutel enthält die für eine Tasse Tee notwendige Menge an Pflanzenmaterial. Die Qualität solcher Fertigtees ist jedoch für Laien nur schwer zu bestimmen. Macht der Hersteller auf der Verpackung gesundheitsbezogene Angaben, zum Beispiel bei Fencheltee „Zur Schleimlösung bei Husten, besonders bei Kleinkindern und Säuglingen“, dann muß der Inhalt gesetzlichen
Standards entsprechen, die eine gewisse Qualität sichern.

Der Aufdruck „Besonders in der Erkältungszeit für Kinder geeignet“ ist keine gesundheitsbezogene Angabe. Hierbei könnte es sich um ein Lebensmittel handeln. Dann braucht von dem wertgebenden Inhaltsstoff des Fenchels, dem ätherischen Öl, nur die Hälfte enthalten zu sein.

 

Instanttees

Sie sind zwar schnell zubereitet, können aber nicht ohne weiteres mit einem selbst aufgebrühten Tee gleichgesetzt werden. Bei der industriellen Herstellung solcher Teezubereitungen können Inhaltsstoffe der Pflanze verlorengehen, andere werden hinzugefügt, damit ein dosierbares Teepulver entsteht. Teegranulat kann bis zu 97 Prozent aus Zucker bestehen. Manche Hersteller verwenden als Granulatbasis auch Zuckeraustauschstoffe. Sinnvoller sind Instanttees aus Sprühextrakt. Diese Herstellungsart erhält die wichtigsten Wirkstoffe besonders gut, und sie enthält etwa 20 Prozent des Drogenextraktes. Instanttees ziehen leicht Feuchtigkeit an und klumpen dann.

 

Alkoholische Auszüge

Viele Pflanzen werden mit Alkohol ausgezogen und dann als Extrakt oder Tinktur eingenommen (Beispiel: Baldriantropfen).


Phytopharmaka

Dieses sind Kunstprodukte aus natürlichen Ausgangsmaterialien, die durch Extraktion, Konzentration, Trocknung oder ähnliche Arbeitsgänge entstanden sind. Diese Produkte können die Erfahrung, die man mit der traditionellen Anwendung von Pflanzenmitteln als Tee oder Tinktur lange Zeit gemacht hat, nicht ohne weiteres für sich beanspruchen, weil die Verarbeitungsschritte Inhaltsstoffe und Wirkungen verändert haben können.

Phytopharmaka müssen ihre Wirkungen und Nebenwirkungen nachweisen, um als Arzneimittel zugelassen zu werden. Allerdings gelten für sie hinsichtlich des Wirksamkeitsnachweises „weichere“ Kriterien als für andere Arzneimittel. Es zählen nicht nur klinische Nachweise, sondern sie dürfen auch die alltägliche Erfahrung, die mit den Mitteln gemacht worden ist, mit einbeziehen. 322 zugelassene Produkte gab es 1996; die anderen etwa 5500 pflanzlichen Fertigarzneimittel sind „Altmedikamente“. Sie waren bereits vor 1976 im Handel und sollen von der Behörde nachträglich zugelassen werden. Den Nachweis ihrer Wirksamkeit und Unbedenklichkeit haben sie bisher jedoch noch nicht erbracht.

 

Anwendung

Pflanzenmittel eignen sich zur Behandlung von Befindlichkeitsstörungen und leichten, vorübergehenden Krankheiten, und sie unterstützen die Behandlung von chronischen, psychosomatischen und funktionellen Störungen. Kräuterzubereitungen können helfen, andere Arzneimittel einzusparen, oder sie lindern deren unvermeidliche Nebenwirkungen.

Für 360 Pflanzen hat eine Fachkommission des damaligen Bundesgesundheitsamtes die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Anwendung bei definierten Erkrankungen bestätigt. Bei einer ganzen Reihe anderer Pflanzen blieb es fraglich, ob ihre Anwendung sinnvoll
ist; einige wurden dezidiert negativ beurteilt.

 

Hinweis

  • Aloe, Besenginster, Poleiminze und Teufelskralle dürfen nicht während der Schwangerschaft eingenommen werden.
  • Beinwell, Huflattich, Kreuzkraut und Pestwurz dürfen nur zeitlich beschränkt angewendet werden. Sie enthalten Pyrrolizidinalkaloide (PA), die nachweislich die Leber schädigen und Krebs auslösen können.
  • Eine Reihe von Veröffentlichungen weist darauf hin, daß anthrachinonhaltige pflanzliche Abführmittel bei Dauergebrauch die Entstehung von Dickdarmkrebs begünstigen können. Mittlerweile mußten die Hersteller von Fertigarzneimitteln darauf entsprechend reagieren.
  • Bei Versuchen mit indischem und mexikanischem Baldrian traten im Tierversuch erbgutverändernde Eigenschaften auf. Inwieweit das auf Menschen übertragbar ist, ist noch unklar.
  • Pflanzen können Allergien auslösen. Es kann ein Hautausschlag auftreten, der schnell wieder abklingt; er kann aber auch chronisch werden. Wer einmal auf eine Pflanze allergisch reagiert hat, muß immer wieder auf ähnliche Reaktionen gefaßt sein. Manche Pflanzen können bereits durch das Einatmen ihres Staubs Asthmaanfälle auslösen.